In Nicaragua ist vieles anders
Den Schulweg legen viele Kinder zu Fuß zurück, manche laufen über eine Stunde, denn nicht überall gibt es Transportmöglichkeiten. Und wenn, dann fahren Busse wetterbedingt manchmal gar nicht. Zum Beispiel, weil die Straßen von einem Fluss überspült werden oder vom Regen aufgeweicht sind. Manche Familien können sich aber auch einfach nicht die (umgerechnet) 30 Cent für die Busfahrt leisten. Ob die Kinder zur Schule gehen, kann sowieso nicht kontrolliert werden. Es gibt zwar eine Schulpflicht, aber die nimmt man hier nicht so ernst. Es gibt auch einen Stunden- und Pausenplan, aber so richtig streng hält sich auch an den keiner. „So um 6.45 Uhr, 7 Uhr geht es los“, sagt man mir. Als ich um sieben Uhr ankomme, sitzen die Lehrer noch gemütlich im Pausenhof. Die Hälfte der Schüler ist noch gar nicht da. Eine Lehrerin winkt mir, in ein Handtuch gewickelt und ganz ohne Eile, aus ihrem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu.
Wünsche der Erstklässler
Gegen halb acht geht endlich der Unterricht los. In zwei Wochen sind Ferien und die Prüfungen schon vorbei. Es sind in dieser Zeit nur wenige Kinder in der Schule. Viele Familien sind schon nach Costa Rica gereist, wo die Eltern in den Ferien auf Kaffee oder Orangenplantagen arbeiten. Der besseren Bezahlung wegen. Die Kinder der ersten Klasse sind anfangs ein wenig schüchtern.
„Was lernt ihr denn hier in der Schule?“
Verlegen schweifen die Blicke durch den Klassenraum, ein überdachtes, halb offenes Zimmer. Fenster aus Glas gibt es nicht, stattdessen Metallgitter, durch die heute ein sachter Wind weht. Das benachbarte Klassenzimmer ist mit einer halbhohen Wand abgetrennt. Dadurch soll die Luft besser zirkulieren. Das tut sie leider nicht, die Geräusche aus den benachbarten Klassenzimmern allerdings schon. An den blanken Zementwänden hängen selbst gestaltete Plakate mit Buchstaben, Zahlen und dem kleinen Einmaleins. Sie sind abgegriffen und von der hohen Luftfeuchtigkeit ganz vergilbt. Gottes Segen und die Helden des sandinistischen Vaterlandes dürfen natürlich in keinem Klassenzimmer fehlen. Die Lehrerin ermuntert die Kinder:
„Schreiben, Lesen, und was noch?“
„Ja schreiben, lesen und malen und rechnen. Das lernen wir!“
An der Tafel steht: Das Pferd rennt. Ich schreibe dazu: Sie ist Deutsche. Die Erstklässler lesen mein Gekrakel im Chor vor und sind ganz stolz.
„Ja ihr könnt wirklich lesen – toll! Und was wünscht ihr euch für eure Schule?“
Schweigen. Die Lehrerin hilft noch einmal nach:
„Ein paar Schreibhefte vielleicht?“
„Natürlich.“
„Und vielleicht auch Bleistifte?“
„Jaaaaaa!!!!“
Und dann purzeln die Wünsche plötzlich aus den Kleinen heraus:
„Buntstifte, Bastelpapier und Wasserfarben!“
„Klebstoff, Anspitzer und Radiergummis.“
„Einen Fussball!“
„Und einen Ventilator für jeden Klassenraum!“
Von Hitze und einem Schmuckstück
Es ist neun Uhr und die Sonne scheint schon erbarmungslos auf das Wellblechdach der Schule. Innerhalb kürzester Zeit ist es brüllend heiß und die Luft steht. Während ich mit den Erstklässlern rede, steht mir steht der Schweiß auf der Stirn und merke wie sich auch andernorts alle verfügbaren Poren wie Schleusentore öffnen. Bei über 30 Grad Außentemperatur und hoher Luftfeuchtigkeit ist schwitzen angesagt. Ich frage mich, wie sich die Kinder so konzentrieren können. Ventilatoren gibt es nicht. Manchmal bringt die Schuldirektorin ihren eigenen Ventilator mit, erzählen die Kids. Aber den stellt sie dann in ihrem Büro auf. Dort sitzt sie hinter einem riesigen Papierstapel. Elektrische Geräte, wie Kopierer, Drucker oder einen Computer kann ich nicht entdecken, obwohl das Schulministerium mittlerweile alle Informationen digital sendet und anfordert. Manchmal kommt dafür ein uralter, privater Laptop eines Lehrers zum Einsatz.
In der Pause spielen die Kinder in einem schönen Pausenhof – dem Schmuckstück der Schule. Überall sind Bastelarbeiten zu finden. Bunte, mit Wasser gefüllte Plastikflaschen sorgen für farbige Reflexionen auf dem Schulhof und aus alten Reifen haben Kinder zusammen mit den Lehrern hängende Pflanzschalen gefertigt, die aussehen wie Paradiesvögel. Sogar einen Schulgarten gibt es. Hier wachsen Bananen, Papaya und Ingwer.
Mangel trotz staatlicher Unterstützung
Ich besuche noch die vierte Klasse. Heute ist nur ein Schüler anwesend, die anderen sind schon im Nachbarland. Illegal natürlich, einen Pass und das nötige Visum kann sich hier keiner leisten. Carlos übt fleißig die schriftliche Division. Er gönnt mir eine kleine Auffrischung in Mathe, wie war das bloß noch mal? Meine Schulzeit ist schließlich auch schon über 20 Jahre her. Zusammen mit der Lehrerin überprüfen wir dann die zurückgegebenen, halb zerfledderten Schulbücher. Sie werden im neuen Schuljahr erneut verwendet. Ich habe eines in der Hand, das zum fünften Mal in Benutzung gehen wird. Wir flicken einige Bücher notdürftig wieder zusammen. Zum Einschlagen wird das benutzt, was gerade verfügbar ist. Alte Pappe oder eben erneut die alte, bekritzelte Plastikfolie. Es ist offensichtlich, dass die Regierung auch den Inhalt der Bücher für die Vermittlung ihrer Werte nutzt. Das kenne ich ja auch noch aus meiner Kindheit in der DDR. Das ist einerseits gut, denn sandinistische Werte wie Gemeinschaft, Unterstützung der Schwachen, Respekt und Mitgefühl sind wertvolles Gedankengut. Der Englischlehrer hatte mich im Vertrauen einmal um ein paar „unabhängige“ Englischbücher gebeten, weil ihm der politische Einfluss in den Lesetexten der Schulbücher zu hoch ist. Die Regierung stellt auch Rucksäcke, Schuhe, Hefte, Bleistifte und Bücher für die Generation der Zukunft zur Verfügung. Die Maßnahme verfehlt ihre Wirkung nicht: „Daniel hat mir Stifte geschickt, schau mal wie schön die Farben sind!!“ Aber es ist niemals genug für alle Kinder, ab der vierten Klasse gehen die Kinder leer aus und müssen die Materialien selbst besorgen. Einige beenden deswegen die Schule nicht.
Spenden ist ganz einfach
Als ich den Schulhof verlasse, blicke ich in erwartungsvolle Kinderaugen. Ich werde begleitet von Abschiedsgrüßen und schüchternem Winken. Weihnachten steht vor der Tür und die Hoffnung ist groß. Den Weihnachtsmann kennt man auch in Nicaragua – auch wenn er bei den meisten Familien nicht vorbeikommt.
Über die Crowdfunding-Plattform von Leetchi könnt ihr ganz einfach für die Schule spenden. Das Geld landet direkt bei mir und ich besorge je nach Höhe des Spendenaufkommens die benötigten Materialien. Alle Neuigkeiten erfahrt ihr regelmäßig unter demselben Link. Natürlich könnt ihr auch ein Paket direkt an die Schule schicken. Das ist sinnvoll, wenn ihr Dinge schicken wollt, die man hier nicht bekommt. Zum Beispiel Lehrmaterialien oder pädagogisches Lehrspielzeug, das ihr nicht mehr braucht. Schreibt mir für nähere Information einfach eine Mail. :-)