Der Wecker schreit uns Punkt halb drei an und wir springen aus dem Bett. Schnell duschen, fertigmachen, die Rucksäcke haben wir gestern schon gepackt. Wir haben es so gewollt, der Sonnenaufgang in Tikal ist ein Muss! Wir sind nicht die einzigen Verrückten, vor unserem Hostel warten auch zwei Jungs auf Abholung und am Parkeingang versammeln sich etwa 30 Personen für die Tour. Unser Guide Loyd begrüßt uns mit dem Hinweis auf nachtaktive Skorpione, Schlangen und Taranteln im Park und der Aufforderung, die Taschenlampen einsatzbereit zu machen.
Oops…
Da haben wir wohl nicht mitgedacht, dass es nachts in einem Nationalpark wohl ziemlich dunkel sein wird… Mein erster Dank des Tages geht an meine liebe Mama, die mir zu Hause noch hartnäckig eine Mini-Taschenlampe aufgedrängt hat, die ich nun zufällig in meinem Wanderrucksack wieder finde. Immerhin haben wir im Gegensatz zu einigen anderen lange Kleidung und Repellent gegen die Moskitos. Und dann geht es schon los. Da wir etwas spät dran sind, wird unsere Kondition auf eine harte Probe gestellt. Etwa 30 Minuten strammer Fußmarsch – wir müssen einmal quer durch das Terrain zum Tempel Nr. 4, und dabei teilweise beachtliche Steigungen und Stufen bergauf im Eiltempo bewältigen. Mein zweiter Dank des Tages geht dabei an René, der im Dienstagstraining keine Gnade hat walten lassen und regelmäßig den schrecklichsten Beinmuskelkater meines Lebens heraufbeschworen hat. Zum Glück dürfen wir zwischendurch mal kurz verschnaufen. Gestartet sind wir bei sternenklarem Himmel, und stehen nun mitten im Dschungel. Als wir uns umdrehen, ragt aus dem Wald, im Schein der Taschenlampe gespenstisch in Nebel gehüllt, einer der Maya-Tempel. Etwas später verweilen wir an der Plaza Mayor, wo wir die Umrisse zahlreicher Ruinen im Dunkel nur erahnen können und erfahren, warum die Stätte Tikal genannt wurde. Wie das wichtigste Zentrum des Maya-Reiches ursprünglich hieß, ist nicht bekannt. Deswegen nannte man es nach seiner Entdeckung Tikal – Stadt der Stimmen der Maya-Geister. Steht man an der Plaza Mayor, zwischen den Tempeln des Königs und der Königin und klatscht in die Hände, schallt von den Ruinen ein quietschig-zirpendes Geräusch zurück, das dem Ruf des Quetzals, dem Nationalvogel Guatemalas, gleicht.
Bald darauf erklimmen wir die Stufen des Tempels am Ende des Parks. Noch ist es stockdunkel und nicht ein einziges Geräusch dringt aus dem dichten Dschungel. Wenig später sind direkt vor uns bereits Baumkronen im Nebel zu erkennen und ein heiserer Schrei, fast wie ein Fauchen, dringt aus den Weiten des Waldes rechts von uns an unsere Ohren. Der Weckruf des Regenwaldes. Wie als Antwort erschallt weit entfernt aus einer anderen Richtung ein Fauchen. Man kann sich förmlich vorstellen, wie Jaguare im Morgengrauen durch ihr Revier streifen. Mit langsam aufkommendem Tageslicht gesellen sich das leise Zirpen der Zikaden und der Morgengruß zahlreicher Vögel hinzu. Und dann schallt ein unheimlicher Ruf durch den gesamten Wald. Binnen kürzester Zeit ist der gesamte Wald erfüllt vom unverwechselbaren Geschrei der Brüllaffen. Obwohl die Affenbande sich weit entfernt aufhält, ist der Lärm beinahe ohrenbetäubend. Wer diese Geräuschkulisse einmal erlebt hat, wird sie nie vergessen. Mittlerweile ragt der nebelverhangene Dschungel im morgendlichen Zwielicht vor uns auf und es fliegen die ersten Schmetterlinge durch die Baumwipfel.
Der Dschungel ist erwacht, doch leider liegen die Nebelschwaden noch immer bleiern auf den Baumkronen und verwehren uns den Blick über den Ruinenkomplex.
Auch, wenn der Wunsch nach einem atemberaubenden Sonnenaufgang sich heute nicht erfüllt hat (es wurde „einfach nur“ hell), ist dieser Morgen doch unvergesslich.
Unsere Führung durch die Tempelanlagen enthüllt viele weitere Details über Guatemala und die Maya, welche hier bereits 200 v. Chr. atemberaubende und ausgetüftelte Tempel und Gebäudekomplexe und damit das bedeutendste Maya-Zentrum dieser Zeit errichteten. Das Gelände war seinerzeit komplett „asphaltiert“, sämtliche Vegetation auf dem 24 x 24 Kilometer großen Gelände wurde dafür beseitigt. Erst nach dem rätselhaften Verschwinden der Maya aus dem Gebiet um 900 n. Chr. hat sich die Natur ihr Reich zurückgeholt und macht die Anlage heute zu einem immer noch an vielen Stellen überwucherten Kleinod inmitten üppiger Vegetation.