Wilde Busfahrt in Guatemala

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Aus Cobán kommend wollen wir weiter nach Chichicastenango und müssen dafür in Guatemala City umsteigen. Am Busbahnhof kommt uns schon ein aufgeregter Mann entgegen, der bei dem Wort Chichi hektisch auf einen Bus zeigt und uns das Gepäck entreißt. Als ich das Gefährt sehe, leuchten meine Augen auf. Endlich!
Nach endlosen gesichtslosen Fahrten in Mini- und Reisebussen geht es jetzt mit einer Camioneta weiter! Die früheren amerikanischen Schulbusse werden hier, meist bunt angemalt, für Fahrten durch das ganze Land genutzt. Laut dröhnt uns schon beim Einsteigen Salsamusik um die Ohren, während der Busbegleiter noch unsere Rucksäcke auf das Dach hievt und festschnallt. Haben wir auch die Regenhüllen draufgemacht?! Noch nicht zu Ende gedacht, schaukeln wir auch schon los.

In der Stadt steigen ständig Leute zu und schon bald ist der Bus gut gefüllt. Unsere Sitzbank, auf der zwei Europäer mit kurzen Beinen bequem Platz finden, teilen wir jetzt mit einem Guatemalteken, der sich gerade noch mit einer Pobacke dazu quetschen kann. Wir sind übrigens die einzigen Gringos in diesem Gefährt, aber das wundert uns nicht. Und… Bilde ich es mir ein, oder quietscht der Bus auf einmal gewaltig? Nein, die Quelle des Geräusches ist bald über uns ausgemacht, in der Gepäckhalterung werden in einem Sack Küken transportiert, die verzweifelt quieken. Sie wissen schon, was auf sie zukommt, wie es scheint. Noch fahren wir im Straßengewirr der Hauptstadt, unser Fahrer muss der Henker persönlich sein. Eine eigenwillige Art zu bremsen und Überholmanöver, die von der ersten Sekunde an zum Scheitern verurteilt sind, prägen seinen Fahrstil. Anscheinend kann er sich bei seiner Busfahrerehre um keinen Preis überholen lassen. Bei jedem Halt steigen Verkäufer zu oder aus, die uns frisch aufgeschnittenes Obst und Getränke anbieten, oder allen Insassen jedwede Art von Schoko-Riegeln in die Hand drücken, diese dann lauthals anpreisen und ihnen wieder abnehmen, wenn sie nicht gekauft werden. Jeder hat seine Domäne und jeder schafft es, sich durch den ohnehin überfüllten Bus zu quetschen. Mittendrin im Gewimmel, sich mit einer Hand an den Sitzen haltend und in der anderen die aufgeschlagene Bibel, hält sich wacker ein Missionar, der mit lauter Stimme predigt und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

Die guatemaltekischen Fahrgäste scheint dies alles in keinster Weise zu stören, innerhalb kürzester Zeit sind die meisten von ihnen eingeschlafen. Das ändert sich auch nicht, als wir die Stadt verlassen und uns durchs Hochland Guatemalas schrauben. In atemberaubender Geschwindigkeit rasen wir durch die Landschaft und werden Kurve für Kurve von rechts nach links und von links nach rechts geschleudert. Dies erfordert eine nicht unerhebliche Konstitution… Auch für Menschen mit Rückproblemen sind die kaum gefederten Gefährte nichts. Jede Unebenheit schleudert alle Mitfahrer in die Höhe und unsanft landet man wieder auf der Sitzbank, schafft man es nicht, sich rechtzeitig abzufangen. Dass die Bodenwellen eigentlich der Geschwindigkeitsreduzierung dienen sollen, kümmert den Henker nicht. Ab und an hören wir ein Rumpeln auf dem Dach und schauen jedes Mal sicherheitshalber aus dem Rück- oder Seitenfenster, in der Befürchtung, einen Abschiedsblick auf unsere Rucksäcke zu erhaschen. Nach einiger Zeit entscheiden wir uns aber dafür, den Packkünsten des Busbegleiters bedingungslos zu vertrauen. Der hat sowieso über alles den Überblick. Meist hängt er in der offenen Türe, um Fahrgäste zu- und aussteigen zu lassen. Mal klettert er behende aufs Dach, um Gepäck hochzuhieven und zu verschnüren. Dann geht er durch den Bus, um den Fahrpreis zu kassieren. Er weiß bei jedem Fahrgast genau, wann er zugestiegen ist und was er zu bezahlen hat.

Noch immer wird die Fahrt begleitet von Salsa-, Merengue- und Bachataklängen und als auch noch „Propuesto Indecente“ von Romeo Santos erklingt, bin ich restlos glücklich. Wir schrauben uns immer weiter die Berge hinauf, langsam wird es neblig und auch ein wenig frisch. Die Einheimischen, die von der Feldarbeit nach Hause laufen, sind in bunt gewebte Decken oder Strickpullover gehüllt, einige haben sogar Mützen auf. Mit Einbruch der Dunkelheit wird die ohnehin abenteuerliche Fahrweise dann doch ein wenig unheimlich. Aber endlich erspähe ich das Ortseingangsschild von Chichi und hoffe auf ein baldiges Fahrtende. Dieses gestaltet sich dann derart, dass wir irgendwo auf der Hauptstraße zur Hintertür des Busses zitiert werden „Chichi, Chichi! Adelante!“, wo Claudi aussteigt während der Busbegleiter auf dem Dach unsere Rucksäcke losbindet. Während ich es gerade ebenfalls nach hinen an die lose offene Tür geschafft habe, setzt der Henker jedoch seine Fahrt wieder fort. Vom Dach baumelt mein 16 kg schwerer Rucksack an der Hand des armen Busbegleiters und ich blicke machtlos von meinem Rucksack auf die unter mir vorbeifliegende Straße und von dort aus auf Claudi, die ein wenig verzweifelt dem Bus hinterher rennt. Der Busbegleiter ruft, pfeift, aber der Henker scheint seine Chance zu wittern – drei auf einen Streich – und reagiert auch nicht auf meine Rufe. Erst als sich an einer Kurve die Autos stauen, kann ich die Gelegenheit nutzen, ebenfalls vom Bus zu springen und meinen Rucksack vor einer unsanften Landung auf dem Asphalt zu retten. Auch Claudi schafft es, ihren Rucksack zu übernehmen, bevor die rasante Fahrt fortgesetzt wird. Ob der Busbegleiter überlebt hat, wissen wir nicht.

Und da stehen wir nun, im Dunkeln, angeleuchtet von Scheinwerfern, mitten auf der Hauptstraße von Chichicastenango und beeilen uns, unsere Sachen zusammenzuklauben und es auf den Bürgersteig zu schaffen, bevor die Autofahrer hinter uns die Geduld verlieren.