Reisen beginnt, wo der Reiseführer aufhört. Ein kurzer Eintrag im „Lonely Planet“ zieht mich auf’s Land und hier erlebe ich, wie schön es ist, sich ohne Netz und doppelten Boden auf unbekanntes Terrain zu wagen.
Mit meinem Tagesrucksack habe ich mich auf den Weg gemacht, um die Petroglyphen bei Villa Sandino zu finden, einem kleinen Örtchen im Osten Nicaraguas, fast ohne touristische Infrastruktur. Hier frage ich mich durch, um herauszufinden, wie ich zu den im Reiseführer erwähnten Petroglyphen komme. Ich ernte ausnahmslos Ratlosigkeit und fragende Blicke – weiß mein Buch hier mehr als die Einheimischen?! Schließlich verweist mich ein Taxifahrer in seiner Hilflosigkeit an ein junges Mädchen, das gerade vorbeikommt, und mich zum einzigen Hotel des Ortes bringt. Und hier kann man mir tatsächlich helfen. Die Besitzer des Hotels, Don Roy und Doña Maria, sind die Freundlichkeit in Person und ein wahrer Quell an Informationen. Viel interessanter als die Petroglyphen finde ich ihre Beschreibung der Pyramiden, da will ich hin! Die beiden schicken mich kurzerhand erstmal mit ihrem Security-Mann auf einen Rundgang durch das Dorf, während sie sich schlau machen, wie ich zu den „Pyramides de Garroba Grande“ komme. Das stellt sich als gar nicht so einfach heraus, da ich erstens ein Mini-Budget habe, zweitens alleine bin und drittens sonntags nur ein einziger Bus fährt und somit meine Rückfahrgelegenheit fehlt. Dass man von dort aus auch nicht im Pickup trampen kann, soll mir erst später klarwerden. Doch kein Problem ohne Lösung! Kurzerhand quartieren mich die beiden über Nacht bei ein paar Freunden auf deren Farm ein. Das klingt nach einem vielversprechenden Abenteuer!
Nachdem ich am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe und mit Sack und Pack angereist bin, geht es aber erstmal auf Erkundungstour zu den nur 8 km entfernten „Piedras Pintadas“. Budgetbedingt geht es zu Fuß dorthin, offensichtlich hat diese „Verrücktheit“ noch niemand vor mir gewagt, und ich werde allerorts mitleidig bis verwundert angeschaut. Die 2000 Jahre alten Steine sind riesig und zeigen teilweise verwitterte Einkerbungen, in denen stilisierte Jaguarspuren, Hunde, Menschen, Krokodile und ein schnabeltierähnliches Ding zu erkennen sind. Hier waren die Ureinwohner Nicaraguas am Werk, über die jedoch noch sehr wenig bekannt ist, und die erst seit kurzem Forschungsobjekt der Archäologen sind. Auf dem Rückweg können wir uns glücklicherweise nach etwa drei Kilometern auf die Ladefläche eines Pickups schwingen, denn die Mittagshitze brennt uns auf den Pelz. Zwischen Matratzen, Bananenstauden und Plastikstühlen machen wir es uns so bequem wie möglich.
Beim anschließenden „Stadt“bummel kommen wir an einer Tanzschule vorbei. Was, Tanzschule? Hier hat doch jeder das Tanzen im Blut! Genau, und zwar auch die Pferde, denn für die ist die Tanzschule gedacht. Und das will ich mir genauer anschauen! Im Gegensatz zu den sonst eher kleinen und drahtigen Tieren, die allerorts als Arbeitstiere gehalten werden, bildet man hier rassige Pferde aus, sich im Takt der Musik zu bewegen. Einmal im Jahr finden in Nicaragua die „Fiestas Patronales“ statt, Pferdeparaden, die so genannten Ipicos, bei denen die Tiere stolz vorgeführt werden. Dafür wird natürlich fleißig geübt. Und heute werden nur für mich die schönsten Tiere aus dem Stall geholt.
Als ich zurückkomme, empfängt mich ein Stromausfall, doch bei Einbruch der Dunkelheit wird der Generator angeschmissen und ich finde mich mitten in einem Karaokeabend wieder. Es ist Samstag, Ausgehabend! Hier sind Jung und Alt vereint, die Jugend singt voller Inbrunst Schlager, genauso wie die Älteren Spaß an modernem Liedgut von Nicky Jam und Prince Royce haben. Und auch Männer scheuen sich nicht, romantisch verklärte Schmusesongs zu singen. Karaoke ist in Nicaragua ziemlich beliebt, und hier singt wirklich jeder. Das Ergebnis ist dabei nebensächlich, es zählt einzig der Spaß! Und so hilft es nichts, auch ich muss mal ran. Wahrscheinlich hätte ich nicht erwähnen sollen, dass mich mein Namenslied „Susana“ seit meiner Ankunft in Guatemala verfolgt. Bei den ersten Takten stelle ich mit rasendem Herzen fest, dass ich ja eigentlich nur den Refrain des Liedes kenne. „Susana estoy loco por tu amor“… was so viel heißt wie: Ich bin verrückt nach deiner Liebe. Mehr schlecht als recht, manövriere ich mich, auch mit Hilfe meiner Tischnachbarn, durch den Song. Dennoch ernte ich am Ende meiner Darbietung rasenden Applaus. Also lege ich noch einen drauf. Das einzige Lied, was noch in Frage kommt ist „Propuesto Indecente“ von Romeo Santos. Also singe ich voller Inbrunst von unmoralischen Angeboten und verruchten Abenteuern. Wer will, kann ja mal die Suchmaschine bemühen!