Die Karaokenacht währt lang, doch ich kann mir keine Exzesse erlauben. Dennoch, nach viel zu wenig Schlaf, stehe ich am nächsten Morgen schon vor 5 Uhr an der Bushaltestelle.
Per Bus fahre ich erst nach Muhán, und hier wartet schon das nächste Vehikel auf mich. Es ist das einzige motorisierte Gefährt, mit dem man den Weg in das abgelegene Hinterland antreten kann. Nach vielen Fahrten in Chickenbussen, Microbussen, Pangas und Fähren dachte ich, mich könne nichts mehr überraschen. Konnte es aber doch, denn das Gefährt, in das ich nun einsteige, gleicht einem Lastwagen mit ein paar Bänken im Inneren. Als einzige Ausländerin werde ich mehr oder weniger genötigt, in der komfortableren Fahrerkabine Platz zu nehmen. Nicht ohne Widerstand zu leisten, steige ich vorne ein. Ich muss aber zugeben, dass mir die gute Aussicht auf die vorbeiziehende Landschaft entgegenkommt. Wir rumpeln über Stock und Stein, mitten hinein in die Berge, vorbei an endlosen Feldern. Und nicht selten denke ich: „die armen Leute hintendrin“… Alle 20 Minuten passieren wir eine Farm, laden Personen mit ihren Einkäufen ein und aus. Ich habe das Land der Milch und der Campesinos betreten. Die sehe ich auch hier und da, den Melkschemel unter den Hintern geschnallt, ihrer Arbeit nachgehen.
Nach etwa 1,5 Stunden, und 22 Kilometern Buckelpiste in den Knochen, haben wir das Fahrtende erreicht. Hier wartet schon Ronald mit den Pferden auf uns. Die großen Ohren der kleinen, drahtigen Tiere lassen darauf schließen, dass es sich hier eigentlich nicht um Pferde, sondern um Mulas handelt. Meines tut mir jetzt schon leid. Aber man sagt ihnen ja eine gewisse Zähigkeit nach. Und der Lauffreudigkeit des Tieres nach zu urteilen, ist es wohl Schlimmeres gewohnt… Zu dritt geht es nun weiter. Wir passieren die menschenleere Landschaft, durchqueren Flüsse und Täler, erklimmen Berge. Auf halbem Wege erfrischen wir uns bei einem befreundeten Nachbarn, der uns kurzentschlossen begleitet. Hier gibt es noch richtige Cowboys. Sie tragen Gummistiefel, Jeans, T-Shirts und Hut. Das gesamte Leben spielt sich auf dem Pferd ab, zu Fuß sind die langen, beschwerlichen Wege nicht zu bewältigen. Schon gar nicht, wenn man etwas zu transportieren hat. Und so steht auf jeder Finca jederzeit ein gesatteltes „Vehikel“ bereit. Fast sind in dieser spannenden Umgebung die Pyramiden, die wir nach 2-stündigem Ritt erreichen, die weniger herausstechende Attraktion.
Abends lerne ich, den Unterschied zwischen Mulas und Machos, Hembras und Barones kennen. Leonell, mein Begleiter, sowie der Familienälteste Raúl erklären mir, warum die männlichen Tiere mehr wert sind als die weiblichen. Natürlich sind die Frauen wichtiger, denn sie schenken uns ja die Kinder! Aber ohne die Männer geht es eben nicht. Sie sind die Samenträger – ohne sie kein Nachwuchs (sagen sie). Mein Argument, dass es ohne Frauen auch keine Kinder gäbe und sie deswegen genausoviel wert sein müssten, zieht nicht so recht bei den Männern. Nur Karla, die einzige Frau am Tisch, versteht mich. Auch hier zeigt sich der Machismo… Vor dem Zubettgehen mache ich noch Hausaufgaben mit der Jüngsten, die gerade Zählen lernt, aber mit ihren vier Jahren doch viel lieber Äpfel und Mangos malt. Um sieben, es ist gerade eine halbe Stunde dunkel, bereiten sich alle schon aufs Zubettgehen vor. Seit vier Uhr morgens sind meine Gastgeber auf den Beinen, und auch ich bin geschlaucht von der Hitze und den Anstrengungen des Tages. Die Hängematte auf der Veranda habe ich mittags schon getestet. Sie ist auch für die folgende Nacht mein!!!
Ich wache vom Geräusch schreiender Kühe auf. Auf Pferden treiben die Männer gerade die Herde ein, es ist Melkzeit. Das wird hier manuell erledigt. 44 Gallonen Milch werden jeden Tag von vier Männern gemolken. Wenn ich mir vorstelle, wie langsam das Milchrinnsal bei mir den Eimer gefüllt hat, ist das nahezu unvorstellbar! Die Milchkannen werden natürlich zu Pferde transportiert. An der Straße werden sie täglich von der „Lechera“, dem Milchwagen, abgeholt. Also machen wir uns zusammen mit Ronald Jr. und zwei Mauleseln auf den halbstündigen Weg zur staubigen Busroute. Zwischendurch sammeln wir noch einige Nachbarn ein, und kommen am Ende als Karawane, bestehend aus mit Milchkannen beladenen Mulas, Cowboys in Gummistiefeln, Müttern mit Babys auf dem Pferd und einigen Kindern auf dem Weg zur Schule, an der Sammelstelle an. Als ich absteige, mache ich noch Bekanntschaft mit ein paar winzigen Ameisen. Als mich die ersten Tierchen pieksen, ist es zu spät. Sie sind bereits scharenweise an meinen Schuhen und Hosenbeinen hochgeklettert. Wild springe ich herum, um die Ameisen abzuschütteln, reiße mir die Schuhe von den Beinen. Nach ein paar Minuten ist es geschafft und ich habe meine Ruhe. Von ein paar brennenden Pusteln mal abgesehen. Doch der Schmerz vergeht schnell.
Die Haltestelle ist ein riesiger Mangobaum und hier warten bereits andere Mitfahrer. Für den Besuch in der Zivilisation haben sich einige Landbewohner richtig in Schale geschmissen. Ich bestehe diesmal darauf, die Rückfahrt auf der Ladefläche des Vehikels zu bestreiten und werde auf den rustikalen Holzbänken mit allen anderen zum Abschluss noch mal so richtig durchgeschüttelt.