Von San Jose Succotz mache ich mich zu Fuß auf den Weg zu einer der bekannten Maya-Ruinen in Belize: Xunantunich (gesprochen Schu-nan-tu-neech) oder auf Englisch sehr poetisch „Maiden of the Stone“ genannt. Einer Maya-Legende nach jagte ein Einwohner des Dorfes einst im Tempelbereich nach Agoutis. Als er die Plaza überquerte, tauchte ein wunderhübsches Maya-Mädchen leuchtend weiß am Tempeleingang auf und verschwand darin. Von der Erscheinung geschockt, ließ der Mann seine Waffe fallen und rannte ins Dorf. Später kehrte er mit einem Maya-Priester zurück. Sie fanden die Waffe, von dem Maya-Mädchen fand sich jedoch keine Spur. Der Legende nach erschien das Mädchen auch anderen Einwohnern, aber niemand konnte ihm je in den Tempel folgen.
Eine schöne Geschichte zum Einstieg, doch die kann nicht über das Wetter hinwegtäuschen. Es kann ja nicht immer schön sein… Wie bereits in der gesamten letzten Woche der Fall, war auch die vergangene Nacht nicht gerade von tropischer Hitze gesegnet. Als ich aufstehe, fängt es gerade an zu regnen. Keine guten Aussichten, denn durch eine hartnäckige Kaltfront besteht ohne Sonne gerade mal die Aussicht auf Temperaturen von 20 Grad. Für eine Frostbeule wie mich bedeutet das, den Fleece-Pullover einzupacken. Doch das hält mich nicht davon ab, heute auf den Spuren der Maya wandeln.
Nach nur 10 Minuten Fußmarsch erreiche ich eine kleine Fähre, mit der ich auf die andere Seite des Rio Mopan übersetze. Dann gilt es erst einmal, ein paar steile Anstiege zu bewältigen. Es passieren einige Minibusse mit Touristen, denen die Hügel ganz offensichtlich weniger ausmachen als mir. Ich muss leider zugeben, dass ich schon mal besser in Form war… Muss an den Tortillas liegen. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit sammelt sich das Wasser auf meinen Armen, meinem Gesicht und tropft mir an der Nase herunter. Und wahrscheinlich fragt sich spätestens jetzt jeder: „Warum tut sie sich das an?!“
Zum Beispiel, weil ich direkt am Eingang die Nationalblume Belizes entdecke, die schwarze Orchidee, die anderen Besuchern wohl verborgen bleibt.
Zum Beispiel, weil ich nach dem ersten Anstieg einen herrlichen Ausblick auf die smaragdgrüne Landschaft und den atemberaubend blauen Fluss habe, den ich genießen kann, solange es mir beliebt.
Zum Beispiel, weil es über mir in den Bäumen raschelt und ich bald einige Brüllaffen entdecke, die sich an den Früchten gütlich tun. Jetzt sind sie ganz still, doch letzte Nacht haben sie ihrem Namen alle Ehre gemacht.
Diese Eindrücke wären mir verborgen geblieben, und hart erarbeitet haben sie letztendlich einen noch größeren Stellenwert und werden mir immer in Erinnerung bleiben.
Nun will ich aber noch etwas für die Bildung tun!
Mit zahlreich erschienenen Touristen erkunde ich die Ruinen, die sich über drei Plazas mit verschiedenen Tempeln erstrecken. Nach dem Aufstieg auf den höchsten der Tempel, „El Castillo“, der seinerzeit die Herrscherfamilie beherbergte, habe ich einen weiten Blick über die Anlage und die hügelige, grüne Landschaft von Belize und das keine 5 km entfernte Guatemala. Wie die Anlage wohl früher einmal ausgesehen haben mag, kann ich mir kaum vorstellen. Ich weiß mittlerweile, dass wo heute saftiges Grün wuchert und riesige Bäume wachsen, damals alles steingepflastert war. Der heute von Witterung zermürbte, graue und moosüberwuchterte Sandstein war mit Schnitzereien reich verziert und in den leuchtendsten Farben bemalt. Die Natur komplett zunichte gemacht, kann man die alten Maya-Städte mit den Betonwüsten der heutigen Zeit vergleichen.
Neben den Tempeln findet sich das Spielfeld des beliebten Ballspiels des Maya, genannt „Pok-A-Tok“. Das Feld wurde begrenzt von zwei parallelen Seitenwänden, an denen Ringe und Scheiben angebracht waren. Gespielt wurde mit einem massiven Gummiball, der etwa 50 Zentimeter maß und mehr als 1 Kilogramm wog. Dieser musste von den zwei Mannschaften durch die Ringe befördert werden, ohne dass die Spieler Hände oder Füße zu benutzen durften. Das klingt nicht nur kompliziert, sondern war es auch! Normalerweise beendete der erste Punkt das Spiel, und das konnte durchaus Tage dauern. Und nicht selten wurde der Verlierer eines Spiels den Göttern geopfert.
Auf dem Tempelgelände finde ich auch jede Menge „Ceibas“, ein Baum der auch Cotton Tree oder Kapok genannt wird. Er kann bis zu 70 Meter hoch werden und gilt der größte Baum im mittelamerikanischen Regenwald . Heutzutage der „Baum des Lebens“, war dieser Urwaldreise der heilige Baum der alten Maya. In deren Kosmologie befand dieser sich im Zentrum der Welt und verband Himmel, Erde und Unterwelt miteinander. Sie glaubten, die Erde sei flach und viereckig. Die fast waagerecht wachsenden Äste der Ceiba wiesen in die vier Richtungen und hielten den Himmel, während das Wurzelwerk in die Unterwelt hinabwuchs. Man glaubte, dass die Himmelskörper die Unterwelt passierten, nachdem sie hinter dem Horizont verschwanden. Da die Wurzeln des Baums den Stalagtitformationen in den Höhlen der Region ähneln, wurden die Höhlen als Eingang zur Unterwelt betrachtet und genutzt, um mit der Geisterwelt in Verbindung zu treten. Noch immer finden sich hier Zeugnisse der zeremoniellen Maya-Riten.
Nun aber genug gelernt – im Regen geht es zurück ins Dorf, ich decke mich mit Tortillas und Gemüse ein. Dann genieße ich den Rest des Tages auf meiner überdachten Terrasse, von wo aus ich die Agoutis und Leguane im Garten beobachten kann.